Provinzler. Bildungsferne. Schon seit Generationen nichts Richtiges gelernt. Leben in den Tag und vielfach von der Hand in den Mund.
Die Kinder besuchen die Förderschule. Falls sie zur Schule gehen.
Sie rauchen zu viel, trinken zu viel – schon zu normalen Zeiten. Und nehmen überhaupt immer den Mund viel zu voll.
Und jetzt sind es keine normalen Zeiten – falls es die je gab. Das Trauma noch zu frisch von Folterung und Todesangst. Die Auferstehung auch.
Nein, solche sprechen nicht auf einmal weltgewandt, gebildet, womöglich in englisch, französisch, russisch, arabisch, chinesisch oder hochdeutsch. Sie sprechen den ihnen zugehörigen Slang, flüsternd, stotternd, lallend oder viel zu laut.
Und wir, wir Stadtmenschen, wir Gebildeteren, wir Mittelschichts- und Wohlstandsbürger*innen, wir, die ganz Normalen, nicht Neurodivergenten, wir, die auch nicht ganz Verschonten, aber in vielerlei Hinsicht Privilegierteren, wir Mehrheitsbürger*innen - wir hören sie. Wir hören sie! Verstehen sie!
Wie wenn uns die Ohren aufgetan worden wären, hören wir sie auf einmal und fühlen – nicht unsere Überlegenheit, nicht die Kluft, die uns trennt, die unsere Welten sonst fein säuberlich auseinander hält -, wir fühlen deren Hoffnungen, deren Zweifel, deren Schmerz, deren berauschenden Jubel. Fühlen es so sehr, dass es auch uns trunken macht, berauscht, verstört.
„Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.“ (Apostelgeschichte 2,13)
Ein Wunder, das geschieht an uns, an der Mehrheit (wo wir Mehrheit sind), um der Minderheit willen. Um unseretwillen, wo wir Minderheit sind.
Ein Wunder, das Maßstäbe setzt: Die da unten, die Minderheiten mit ihrem ungeheuren Bedürfnis nach besserem Leben, ihrem ungeheuren Hoffnungs- und Erlösungspotential, ihren Traumata, ihrem Glauben, ihrer Resignation und Depression, sie müssen verstanden werden.
Ein ungeheures Wunder, wo das geschieht. Dieser Geist – ein Gegengeist zum Zeitgeist, zum Überlegenheitsgeist der Mehrheit - ach, dass er uns doch alle ansteckte, dieser andere Geist, dieser Geist der Hinterwäldler, der Queeren, der Frauen*, der Schwarzen, der Behinderten, der Zerschlagenen, dass er uns doch alle mit seiner feurigen, erschütternden Lebens- und Liebensfreundlichkeit begeisterte und alles wegwehte, was dem Verstehen im Weg steht.
Komm, Ruach, Heilige Geistkraft. Mach uns süchtig nach dir.
Pfarrerin Claudia Kettering
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